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Gelesen: Radetzkymarsch (von Joseph Roth)
“Radetzkymarsch” erzählt das Schicksal dreier Generationen der adligen Familie Trotta in der k.u.k. Monarchie Östterreich-Ungarn. Die Geschichte beginnt damit, dass Joseph Trotta dem Kaiser bei der Schlacht von Solferino das Leben rettet. Aus Dank wird er in den Adelsstand befördert. Joseph Trotta hat Schwierigkeiten diesen Statuswechsel zu verarbeiten, schließlich war noch sein Großvater ein einfacher Bauer und für ihn war es schon eine große Leistung überhaupt als Leutenant in der Armee dienen zu können. Josephs Trottas Lebensgeschichte wird rasch zu Beginn des Romans abgehandelt, das Augenmerk liegt auf seinem Sohn und vor allem seinem Enkel. Denn die beiden erleben nicht nur den Verfall Österreich-Ungarns und den Weg des Reiches Richtung erster Weltkrieg, sondern auch den Verfall der eigenen Familie.
Der Roman beginnt mit einem überraschend szenischen Einstieg. Lebhaft wird die Schlacht von Solferino erzählt, der Leser ist von Anfang an gepackt. Auch im weiteren Verlauf des Romans gelingt es Roth immer wieder spannende Passagen einzubauen, die das Lesen (besonders für ein Reclam-Buch) extrem kurzweilig machen. Das ist deswegen überraschend, weil der Roman zum größten Teil aus recht ausführlichen, immer auch etwas melancholisch-wehmütigen Passagen besteht. Denn Roth nimmt sich viel Zeit um Blicke auf die österreichisch-ungarische Gesellschaft zu werfen. An vielen Stellen treten Widersprüche auf, die Roth teilweise gar mit einem ironischen Unterton beschreibt. An vielen Stellen ist der Zerfall aber einfach spürbar.
Die meisten Zustände werden aus der Sicht des Militärs beschrieben, indem Josephs Enkel, Carl-Joseph, dient. Sein Sohn, Franz, ist Bezirkhauptmann. An ihm erlebt man noch die etwas würdevolle, starre und damit aber auch stabile Art, wie das Land verwaltet wird. Der Bezirkhauptmann plant alles und ist für Carl-Joseph eine etwas übermächtige Vaterfigur. Was allerdings auch daran liegt, dass die Frauen der Familie alle recht schnell sterben und die Männer keine gemeinsame Kommunikation findet. Briefe werden immer nach dem selben Standardformat verfasst, geredet wird nur in den seltensten Fällen. Das bessert sich etwas zum Schluss, aber da wirft der erste Weltkrieg schon seinen Schatten.
Das Militär ist kein schöner Ort. Die Offiziere sind alle gelangweilt und harren eines Krieges. In der Zwischenzeit wird gesoffen, gehurt und sich duelliert. Carl-Joseph ist diese Welt fremd und dennoch wird er in sie reingezogen. Nach einer unglücklichen Verwicklung in ein Bordell wird er an die Grenze versetzt. Dort muss er sich nicht nur mit einem sozialistischen Streik rumschlagen, sondern auch mit der Verlockung des Glückspiels. Er ist dabei furchtbar naiv und lässt sich in massive Schulden treiben, obwohl er selbst kaum spielt. Stattdessen übernimmt er regelmäßig für seine Kameraden Schulden, weil er deren Aufrichtigkeit beziehungsweise Solidität völlig überschätzt. Diese Naivität speist sich dabei aus verschiedenen Quellen. Da ist das – sehr gut dargestellte – schlechte Verhältnis zum Vater, aber auch die Berufswahl, die sich nach einer Erwartung und nicht nach einem eigenen Wunsch gerichtet hat. Außerdem hat Carl-Joseph ein etwas gestörtes Verhältnis zu Frauen. Schon in seiner Jugend hatte er eine Affäre mit der älteren Ehefrau eines Polizeikommissars. Nachdem er diese geschwängert hatte, starb sie im Kindbett, was ihn natürlich völlig aus der Bahn warf. Auch im Verlauf des Romans hat Carl-Joseph nicht Affären mit älteren Frauen, die seinem Gemütszustand nicht gerade zuträglich sind.
Der Roman ist daher in gewissem Maß auch die Verzweiflung Carl-Josephs an seiner Rolle im Leben. Erst zum Schluss kann er sich vom Militär, seinen Kameraden und der Geldsucht emanzipieren und lebt ein bescheidenes, aber glückliches Leben – bis ihn der erste Weltkrieg wieder zurückholt.
Am interessantesten ist aber wie Roth den Zustand der Monarchie beschreibt. Es gibt einige Szenen mit dem Kaiser, der der Familie Trotta natürlich gedanklich noch verbunden ist. Diese Passagen werden immer kindlicher, je älter der Kaiser wird und sorgen für angenehme Lockerung, ohne albern zu wirken. Aus den Gedankengängen des Kaisers kann man die deutlichsten Anspielungen herauslesen. Der Rest wird über die bereits erwähnten Landschafts- und Gesellschaftsbeschreibungen erreicht. Hier wird viel Wehmut transportiert, was interessant ist, das Roth selbst die Monarchie miterlebt hat, den Roman aber 1932 kurz vor dem Sieg des Nationalsozialismus über die Weimarer Republik geschrieben hat. Diese viel Platz einnehmenden Passagen sorgen für eine sehr berührende Stimmung, die deutlich macht, dass der unaufhaltsame und für die Charaktere unmerkliche Abstieg der Familie Trotta kein Einzelfall ist, sondern stellvertretend für das gesamte Reich steht.
Letztendlich ist der Tod ein Bestandteil des Werkes. Das Reich stirbt, die alten Trottas sterben und der junge Trotta stirbt natürlich auch. Bei seinen Beschreibungen streut Roth immer wieder Nebensätze ein, die andeuten, was den einzelnen Militärregimentern im ersten Weltkrieg alles droht. Dabei gleitet das Werk aber – wie auch bei den melancholischeren Passagen – nie ins Depressive ab, was eine gewisse Leistung ist.
Der Radetzkymarsch glänzt durch authentische Charaktere und eine besondere Stimmung. Das Lesen wird dadurch nie langweilig, man mag das Buch kaum aus der Hand legen. Lange hat mich kein Buch mehr so berührt wie dieses.
Der Roman beginnt mit einem überraschend szenischen Einstieg. Lebhaft wird die Schlacht von Solferino erzählt, der Leser ist von Anfang an gepackt. Auch im weiteren Verlauf des Romans gelingt es Roth immer wieder spannende Passagen einzubauen, die das Lesen (besonders für ein Reclam-Buch) extrem kurzweilig machen. Das ist deswegen überraschend, weil der Roman zum größten Teil aus recht ausführlichen, immer auch etwas melancholisch-wehmütigen Passagen besteht. Denn Roth nimmt sich viel Zeit um Blicke auf die österreichisch-ungarische Gesellschaft zu werfen. An vielen Stellen treten Widersprüche auf, die Roth teilweise gar mit einem ironischen Unterton beschreibt. An vielen Stellen ist der Zerfall aber einfach spürbar.
Die meisten Zustände werden aus der Sicht des Militärs beschrieben, indem Josephs Enkel, Carl-Joseph, dient. Sein Sohn, Franz, ist Bezirkhauptmann. An ihm erlebt man noch die etwas würdevolle, starre und damit aber auch stabile Art, wie das Land verwaltet wird. Der Bezirkhauptmann plant alles und ist für Carl-Joseph eine etwas übermächtige Vaterfigur. Was allerdings auch daran liegt, dass die Frauen der Familie alle recht schnell sterben und die Männer keine gemeinsame Kommunikation findet. Briefe werden immer nach dem selben Standardformat verfasst, geredet wird nur in den seltensten Fällen. Das bessert sich etwas zum Schluss, aber da wirft der erste Weltkrieg schon seinen Schatten.
Das Militär ist kein schöner Ort. Die Offiziere sind alle gelangweilt und harren eines Krieges. In der Zwischenzeit wird gesoffen, gehurt und sich duelliert. Carl-Joseph ist diese Welt fremd und dennoch wird er in sie reingezogen. Nach einer unglücklichen Verwicklung in ein Bordell wird er an die Grenze versetzt. Dort muss er sich nicht nur mit einem sozialistischen Streik rumschlagen, sondern auch mit der Verlockung des Glückspiels. Er ist dabei furchtbar naiv und lässt sich in massive Schulden treiben, obwohl er selbst kaum spielt. Stattdessen übernimmt er regelmäßig für seine Kameraden Schulden, weil er deren Aufrichtigkeit beziehungsweise Solidität völlig überschätzt. Diese Naivität speist sich dabei aus verschiedenen Quellen. Da ist das – sehr gut dargestellte – schlechte Verhältnis zum Vater, aber auch die Berufswahl, die sich nach einer Erwartung und nicht nach einem eigenen Wunsch gerichtet hat. Außerdem hat Carl-Joseph ein etwas gestörtes Verhältnis zu Frauen. Schon in seiner Jugend hatte er eine Affäre mit der älteren Ehefrau eines Polizeikommissars. Nachdem er diese geschwängert hatte, starb sie im Kindbett, was ihn natürlich völlig aus der Bahn warf. Auch im Verlauf des Romans hat Carl-Joseph nicht Affären mit älteren Frauen, die seinem Gemütszustand nicht gerade zuträglich sind.
Der Roman ist daher in gewissem Maß auch die Verzweiflung Carl-Josephs an seiner Rolle im Leben. Erst zum Schluss kann er sich vom Militär, seinen Kameraden und der Geldsucht emanzipieren und lebt ein bescheidenes, aber glückliches Leben – bis ihn der erste Weltkrieg wieder zurückholt.
Am interessantesten ist aber wie Roth den Zustand der Monarchie beschreibt. Es gibt einige Szenen mit dem Kaiser, der der Familie Trotta natürlich gedanklich noch verbunden ist. Diese Passagen werden immer kindlicher, je älter der Kaiser wird und sorgen für angenehme Lockerung, ohne albern zu wirken. Aus den Gedankengängen des Kaisers kann man die deutlichsten Anspielungen herauslesen. Der Rest wird über die bereits erwähnten Landschafts- und Gesellschaftsbeschreibungen erreicht. Hier wird viel Wehmut transportiert, was interessant ist, das Roth selbst die Monarchie miterlebt hat, den Roman aber 1932 kurz vor dem Sieg des Nationalsozialismus über die Weimarer Republik geschrieben hat. Diese viel Platz einnehmenden Passagen sorgen für eine sehr berührende Stimmung, die deutlich macht, dass der unaufhaltsame und für die Charaktere unmerkliche Abstieg der Familie Trotta kein Einzelfall ist, sondern stellvertretend für das gesamte Reich steht.
Letztendlich ist der Tod ein Bestandteil des Werkes. Das Reich stirbt, die alten Trottas sterben und der junge Trotta stirbt natürlich auch. Bei seinen Beschreibungen streut Roth immer wieder Nebensätze ein, die andeuten, was den einzelnen Militärregimentern im ersten Weltkrieg alles droht. Dabei gleitet das Werk aber – wie auch bei den melancholischeren Passagen – nie ins Depressive ab, was eine gewisse Leistung ist.
Der Radetzkymarsch glänzt durch authentische Charaktere und eine besondere Stimmung. Das Lesen wird dadurch nie langweilig, man mag das Buch kaum aus der Hand legen. Lange hat mich kein Buch mehr so berührt wie dieses.
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Abschweifende Ökowende
“Zu grün gefreut? Kostet die Ökowende uns den Wohlstand?” war der Titel der dritten Sendung von “Eins gegen Eins” vom vergangenen Montag. Wie schon die Male davor handelt es sich hier also um eine vermeintlich sachbezogene Frage, die aber letztendlich zu einer ideologischen Grundsatfrage führt, nämlich “Grün oder nicht grün”.
Dementsprechend gespalten war dann auch das Publikum. Die Abstimmung vor der Diskussion ging nahezu unentschieden aus, die Abstimmung danach ging tatsächlich 50/50 aus. Die Redakteure der Sendung sollten sich daher tatsächlich mal überlegen, ob man nicht ein Sachthema auswählt, indem Argumente in begrenztem Raum ausgetauscht werden können.mehr
Dementsprechend gespalten war dann auch das Publikum. Die Abstimmung vor der Diskussion ging nahezu unentschieden aus, die Abstimmung danach ging tatsächlich 50/50 aus. Die Redakteure der Sendung sollten sich daher tatsächlich mal überlegen, ob man nicht ein Sachthema auswählt, indem Argumente in begrenztem Raum ausgetauscht werden können.mehr
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