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Gelesen: Neinsagerland (von Rainer Knauber)
"Wege zu einem Konsens für Fortschritt" ist der Untertitel dieses Werkes, das sich vor allem mit der scheinbar neuen Erscheinung des "Wutbürgers" beschäftigt. Doch anstatt wirklich neue Wege aufzuzeigen, greift der Autor gerade einmal zu zwei Mitteln: Er appelliert an eine vermeintliche Vernunft und setzt auf handlungsfähige Politik mit bestenfalls überregionalen Volksentscheiden. Das ist verbunden mit einer äußerst undifferenzierten Herangehensweise an die Thematik, die es gar nicht zulässt, dass praktische Lösungen gefunden werden.
Es gibt Bürgerinititativen gegen viele Dinge. Die meisten lehnen Infrastrukturprojekte ab. Dabei gibt es große Bewegungen wie die um Stuttgart 21 aber auch viele kleine Bewegungen, die mal eine Stromtrasse mal eine Umgehungsstraße verhindern wollen. Sie alle eint, dass sie etwas ablehnen. Damit liefern sie die Munition für den Titel dieses Buch: "Neinsagerland". Sie ermöglichen aber auch, dass die Partei von der sie am häufigsten unterstützt werden, mit dem Attribut "Die Dagegen Partei" bezeichnet werden kann. Häufig finden sich in diesen Bürgerinitiativen Menschen, die die Zeit großer staatlicher (aber auch privater) Bauprojekte beendet sehen wollen.
Knauber vertritt die gegenteilige Position. Deutschlands Wohlstand ruhe auf der Leistungskraft der Industrie. Damit die weiter produzieren kann, bedürfe es einer funktionierenden Infrastruktur. Um diese in Zeiten der Energiewende zu erhalten beziehungsweise rasch auszubauen braucht es möglichst schnelle Prozesse. Hier verhinderten aber eine unüberschaubare Anzahl von "Neinsager"-Bürgerinitativen, dass der Fortschritt vorangehen könne. Knauber argumentiert dabei genau so einseitig wie seine Gegner. Denn während die einen keinerlei Sinn in Bauprojekten sehen, sieht Knauber keinen Sinn in der Kritik daran. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit gegenseitigen Argumenten geschieht auch in diesem Buch nicht.
Knauber beschreibt in dem ersten Teil mit dem Titel "Ortstermin im Neinsagerland" welche Blüten die Protestkultur im Land bereits erreicht hat. Dabei wären viele Beobachtungen sehr interessant, wenn sie nicht so einseitig formuliert wurden. Selbst der Journalismus muss Kritik einstecken, da er protestierenden Bürgern Platz einräumt und somit einer Minderheit zu viel Raum gibt. Das sei früher anders gewesen. Diese Kritik ist hanebüchen und deplaziert, schließlich sind gerade die neuen Kommunikationsmöglichkeiten aller Bürger (!) ein demokratischer Vorteil.
Auch das Argument, dass Umweltorganisationen oft mehr Mittel zur Hand haben, als die Bauunternehmen zieht nicht. Denn die meisten Umweltorganisationen sind zwar mittlerweile wie Unternehmen aufgebaut. Dennoch können sie nicht in jede Bürgerinitative gleich viel Geld reinstecken. Auch Umweltorganisationen orientieren sich daran, wo sie Mitglieder einwerben können. Das sind bei einem kleinen Projekt dementsprechend weniger. Da Knaubers häufig wiederholtes Argument, Umweltorganisationen hätten meist mehr Mittel zur Hand als die Unternehmen, nicht belegt wird, ist es nicht besonders glaubwürdig.
Im zweiten Teil beschreibt Knauber dann, warum Fortschritt auch heute noch wichtig für Deutschlands Wohlstand ist. Seine These ist dabei, dass wir heute zu verwöhnt sind, um Infrastrukturmaßnahmen noch schätzen zu können. Daher bedürfe es - und das legt er im dritten Teil dar - einer neuen Vertrauenskultur. Diese müsse vor allem neue Werte schaffen, aber auch Politiker hervorbringen, die Projekte wieder aktiv vertreten. Dann könne man - im Zusammenspiel mit verbesserten Kommunikationsverfahren bei den Projekten und im Notfall überregionaler Volksentscheide - erreichen, dass das "Gemeinwohl" wieder im Mittelpunkt stehe und der "Fortschritt" voran komme. Interessant dabei ist, dass Infrastrukturmaßnahmen fast ungefragt dem Gemeinwohl dienen und Fortschritt darstellen.
Insofern zieht sich auch in der zweiten Hälfte des Buches eine undifferenzierte Sicht auf Infrastrukturmaßnahmen. Knauber arbeitet für ein Energieunternehemen, daher sieht er auch jede Investition in Energie bzw. ihre Transportwege als grundsätzlich positiv. Das ist kein Wunder, aber eine winzige Grundlage für ein Buch wie dieses.
Positiv zu vermerken ist in erster Linie, dass Knauber darauf hinweist, dass Projekte nicht an Minderheiten scheitern dürfen. Natürlich muss ein Dorf beteiligt werden, wenn eine Energietrasse in der Nähe gebaut wird. Aber dieses Dorf darf nicht Ursache dafür sein, dass in ganzen Landesteilen kein Strom ankommt. Das Beispiel Stuttgart 21 - Knauber konnte den Volksentscheid leider nicht mehr in das Buch einarbeiten - zeigt, dass überregionale Abstimmungen durchaus andere Mehrheiten als angenommen zutage bringen können.
Das Beispiel zeigt aber auch, dass die These des "Neinsagerlands" selbst zu hinterfragen ist. Knauber geht von dieser These wie selbstverständlich aus. Dafür bringt er eine Reihe von Beispielen an, die durch die Berichterstattung in den Medien verstärkt werden. Die Abstimmung zum Bahnhofprojekt in Stuttgart zeigt aber, dass mit der richtigen (und aufwendigen) Kommunikation durchaus Mehrheiten für Infrastrukturprojekte zu gewinnen sind. Sogar in Stuttgart stimmten die Mehrheit der Wähler dem Projekt zu. Daher ist auch Knaubers Hinweis auf das Abstimmungssystem in der Schweiz interessant. Dort ist nämlich noch kein Volksentscheid auf Bundesebene erfolgreich gewesen, der gegen die Interessen der Wirtschaft gerichtet ist. Auch aus diesem Grund sind Volksabstimmungen kritisch zu sehen. Denn auch wenn Knauber behauptet Umweltorganisationen hätten die höheren Budgets, bei Großprojekten sieht das anders aus. Und Wahlkampf braucht in erster Linie nun einmal Geld.
Knauber legt mit "Neinsagerland" also ein populistisches Werk vor, dass die Grundthese unkritisch anhand einiger Beispiele dramatisiert. Dabei ist das Buch an den besten Stellen ein eindringliches Plädoyer für einen starken Industriestandort Deutschland mit einer gemäßigten politischen Kultur, die zum Konsens fähig ist und am Gemeinwohl orientiert ist. An den schlimmsten Stellen hetzt das Buch gegen alle großen und kleinen Initiativen, die es wagen, ein Bauprojekt zu verzögern.
Es gibt Bürgerinititativen gegen viele Dinge. Die meisten lehnen Infrastrukturprojekte ab. Dabei gibt es große Bewegungen wie die um Stuttgart 21 aber auch viele kleine Bewegungen, die mal eine Stromtrasse mal eine Umgehungsstraße verhindern wollen. Sie alle eint, dass sie etwas ablehnen. Damit liefern sie die Munition für den Titel dieses Buch: "Neinsagerland". Sie ermöglichen aber auch, dass die Partei von der sie am häufigsten unterstützt werden, mit dem Attribut "Die Dagegen Partei" bezeichnet werden kann. Häufig finden sich in diesen Bürgerinitiativen Menschen, die die Zeit großer staatlicher (aber auch privater) Bauprojekte beendet sehen wollen.
Knauber vertritt die gegenteilige Position. Deutschlands Wohlstand ruhe auf der Leistungskraft der Industrie. Damit die weiter produzieren kann, bedürfe es einer funktionierenden Infrastruktur. Um diese in Zeiten der Energiewende zu erhalten beziehungsweise rasch auszubauen braucht es möglichst schnelle Prozesse. Hier verhinderten aber eine unüberschaubare Anzahl von "Neinsager"-Bürgerinitativen, dass der Fortschritt vorangehen könne. Knauber argumentiert dabei genau so einseitig wie seine Gegner. Denn während die einen keinerlei Sinn in Bauprojekten sehen, sieht Knauber keinen Sinn in der Kritik daran. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit gegenseitigen Argumenten geschieht auch in diesem Buch nicht.
Knauber beschreibt in dem ersten Teil mit dem Titel "Ortstermin im Neinsagerland" welche Blüten die Protestkultur im Land bereits erreicht hat. Dabei wären viele Beobachtungen sehr interessant, wenn sie nicht so einseitig formuliert wurden. Selbst der Journalismus muss Kritik einstecken, da er protestierenden Bürgern Platz einräumt und somit einer Minderheit zu viel Raum gibt. Das sei früher anders gewesen. Diese Kritik ist hanebüchen und deplaziert, schließlich sind gerade die neuen Kommunikationsmöglichkeiten aller Bürger (!) ein demokratischer Vorteil.
Auch das Argument, dass Umweltorganisationen oft mehr Mittel zur Hand haben, als die Bauunternehmen zieht nicht. Denn die meisten Umweltorganisationen sind zwar mittlerweile wie Unternehmen aufgebaut. Dennoch können sie nicht in jede Bürgerinitative gleich viel Geld reinstecken. Auch Umweltorganisationen orientieren sich daran, wo sie Mitglieder einwerben können. Das sind bei einem kleinen Projekt dementsprechend weniger. Da Knaubers häufig wiederholtes Argument, Umweltorganisationen hätten meist mehr Mittel zur Hand als die Unternehmen, nicht belegt wird, ist es nicht besonders glaubwürdig.
Im zweiten Teil beschreibt Knauber dann, warum Fortschritt auch heute noch wichtig für Deutschlands Wohlstand ist. Seine These ist dabei, dass wir heute zu verwöhnt sind, um Infrastrukturmaßnahmen noch schätzen zu können. Daher bedürfe es - und das legt er im dritten Teil dar - einer neuen Vertrauenskultur. Diese müsse vor allem neue Werte schaffen, aber auch Politiker hervorbringen, die Projekte wieder aktiv vertreten. Dann könne man - im Zusammenspiel mit verbesserten Kommunikationsverfahren bei den Projekten und im Notfall überregionaler Volksentscheide - erreichen, dass das "Gemeinwohl" wieder im Mittelpunkt stehe und der "Fortschritt" voran komme. Interessant dabei ist, dass Infrastrukturmaßnahmen fast ungefragt dem Gemeinwohl dienen und Fortschritt darstellen.
Insofern zieht sich auch in der zweiten Hälfte des Buches eine undifferenzierte Sicht auf Infrastrukturmaßnahmen. Knauber arbeitet für ein Energieunternehemen, daher sieht er auch jede Investition in Energie bzw. ihre Transportwege als grundsätzlich positiv. Das ist kein Wunder, aber eine winzige Grundlage für ein Buch wie dieses.
Positiv zu vermerken ist in erster Linie, dass Knauber darauf hinweist, dass Projekte nicht an Minderheiten scheitern dürfen. Natürlich muss ein Dorf beteiligt werden, wenn eine Energietrasse in der Nähe gebaut wird. Aber dieses Dorf darf nicht Ursache dafür sein, dass in ganzen Landesteilen kein Strom ankommt. Das Beispiel Stuttgart 21 - Knauber konnte den Volksentscheid leider nicht mehr in das Buch einarbeiten - zeigt, dass überregionale Abstimmungen durchaus andere Mehrheiten als angenommen zutage bringen können.
Das Beispiel zeigt aber auch, dass die These des "Neinsagerlands" selbst zu hinterfragen ist. Knauber geht von dieser These wie selbstverständlich aus. Dafür bringt er eine Reihe von Beispielen an, die durch die Berichterstattung in den Medien verstärkt werden. Die Abstimmung zum Bahnhofprojekt in Stuttgart zeigt aber, dass mit der richtigen (und aufwendigen) Kommunikation durchaus Mehrheiten für Infrastrukturprojekte zu gewinnen sind. Sogar in Stuttgart stimmten die Mehrheit der Wähler dem Projekt zu. Daher ist auch Knaubers Hinweis auf das Abstimmungssystem in der Schweiz interessant. Dort ist nämlich noch kein Volksentscheid auf Bundesebene erfolgreich gewesen, der gegen die Interessen der Wirtschaft gerichtet ist. Auch aus diesem Grund sind Volksabstimmungen kritisch zu sehen. Denn auch wenn Knauber behauptet Umweltorganisationen hätten die höheren Budgets, bei Großprojekten sieht das anders aus. Und Wahlkampf braucht in erster Linie nun einmal Geld.
Knauber legt mit "Neinsagerland" also ein populistisches Werk vor, dass die Grundthese unkritisch anhand einiger Beispiele dramatisiert. Dabei ist das Buch an den besten Stellen ein eindringliches Plädoyer für einen starken Industriestandort Deutschland mit einer gemäßigten politischen Kultur, die zum Konsens fähig ist und am Gemeinwohl orientiert ist. An den schlimmsten Stellen hetzt das Buch gegen alle großen und kleinen Initiativen, die es wagen, ein Bauprojekt zu verzögern.
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